Samstag 8.15 Uhr: Der Notruf kommt in der Leitstelle an. Sofort werden die ersten Kräfte zum Stadtring geschickt. Nach und nach alarmiert Ingolf Zellmann, Chef der Leitstelle Lausitz, weitere Kräfte. Er fordert zwei Hubschrauber an, zudem eilen 40 Kollegen aus Polen herbei.
Auf dem Stadtring, direkt auf der Spreebrücke, bietet sich ihnen ein Bild des Grauens: 15 Autos sind miteinander kollidiert, ein Bus steht quer über der Fahrbahn. Dutzende Menschen sind in ihren Fahrzeugen eingeklemmt, viele haben schwere Verletzungen. Ein Tanklaster, beladen mit 10 000 Litern Öl, ist mit in den Massenunfall verwickelt. Jetzt läuft aus einem Leck Öl in die Spree. „Gerade bei uns in Cottbus, als Tor zum Spreewald, wäre das auch noch eine gewaltige Umweltkatastrophe“, sagt Leitstellen-Chef Zellmann.
Es ist ein Horrorszenario, das sich aber in der Realität so abspielen könnte. Um für den größten anzunehmenden Unfall vorbereitet zu sein, um den kühlen Kopf in einem eventuellen Ernstfall zu behalten, trainierten die Einsatzkräfte von Polizei, Berufs- und Freiwilligen Feuerwehren, Rotem Kreuz, Johannitern, Technischem Hilfswerk und weiteren Rettungsorganisationen am Samstagvormittag die Katastrophe. „Bei einer Katastrophe sind wirklich alle verfügbaren Einsatzkräfte vor Ort. Diesen Fall proben wir heute“, so Zellmann.
Noch immer rasen deshalb Rettungskräfte mit Blaulicht zum Einsatzort am Stadtring, der für die Übung den gesamten Vormittag gesperrt wurde. Überall Rettungskräfte, zudem spielen 40 Statisten die – realistisch geschminkten – Verletzten und ihre Angehörigen. „Wo ist mein Vater“, schreit einer der Leichtverletzten, für die ein separates Zelt errichtet wurde. Er will ihn finden, steht unter Schock. Er rennt los, zurück zum Unfallort. Feuerwehr-Männer sprinten hinterher, um ihn einzufangen. Im benachbarten Notfall-Lazarett liegen die Verletzten eingehüllt in Decken, jeder hat eine Karte um den Hals – mit einer Farbklassifizierung. Notärzte haben die Verletzungen nach Ampelfarben eingestuft. „Wir haben hier sechs rote Verletzte“, gibt Rettungsdienst-Leiter Conrad Lürmann durch das Sprechfunkgerät durch. Hektisch fährt er fort: „Drei wollen wir ins Krankenhaus Berlin-Marzahn fliegen lassen.“ Insgesamt gibt es 25 Verletzte, und die müssen auf verschiedene Krankenhäuser verteilt werden, je nach Schwere der Verletzungen. Kurz darauf hebt bereits der Hubschrauber „Christoph 33“ der ADAC-Luftrettung ab. Trotzdem: Sieben weitere Personen – bei der Übung durch Puppen dargestellt – haben bei der Notarzt-Visite „keine Vitalfunktionen“ mehr. Und weil die Reanimierung viel Zeit und Personal binden würde und die Erfolgschancen unsicher seien, kümmerten sich die Einsatzkräfte zunächst um die „roten“ Verletzen, erklärt Mario Horwarth von der Cottbuser Berufsfeuerwehr. So liegen die Puppen unter Decken auf dem Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen.
Unterdessen kümmern sich die Einsatzkräfte weiter darum, die Verletzten mit Schneidgeräten so schnell wie möglich aus ihren Fahrzeugen zu bergen. Ihre Kollegen wollen das aus dem Tanklaster sprudelnde Öl stoppen. Weil es eine Übung ist, läuft „nur“ Wasser aus dem Tank, doch mit Kunststoffkissen muss die Stelle trotzdem abgedichtet werden. Zwei Einsatzkräfte werfen sich in silberne Anzüge und versuchen, das Leck abzudichten. Zwei Ölsperren haben die Feuerwehren in der Spree bereits errichtet, um die drohende Umweltkatastrophe durch den auslaufenden Kraftstoff zu vermeiden: am Cottbuser Planetarium und bei Döbbrick. Kurze Zeit später kommt noch ein Taucher der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft zum Einsatz, weil ein Fahrrad am Straßenrand gefunden wurde – und der Radler jetzt in der Spree vermutet wird.
Nach und nach werden die Verletzten abtransportiert, die Durchsagen per Sprechfunk weniger. Gegen 12 Uhr ist die Übung beendet, 63 Fahrzeuge treten die Rückfahrt an. Der Stadtring wird nach dem Massencrash wieder freigegeben – der zum Glück nur eine Großübung war.
Quelle: Lausitzer Rundschau